Jan Solwyn: An der Grenze. Verfehlte Politik, Überforderung, Flüchtlingselend: Wie ein Bundespolizist die Realität an unseren Grenzen erlebt. Heyne. 256 S., Fr. 29.90

Das Unheil nahm schon lange seinen Lauf, aber der Tag, an dem der Absturz in die Katastrophe begann, lässt sich terminieren. Es war der 31. August 2015, als Angela Merkel, ohne mit der Wimper zu zucken, den wohl folgenschwersten Satz ihres politischen Lebens sprach: «Wir schaffen das.» Sie kommentierte den Umstand, dass der jahrelange Zustrom von Migranten im Sommer dieses Jahres zur Springflut geworden war. Keine Bange, versicherte die Kanzlerin ihren Bürgern, das kriegen wir schon hin. Oder ihr.

Daraus wurde bekanntlich nichts, aber das hätte man ihr schon damals sagen können. Sie hätte nur Leute wie Jan Solwyn fragen müssen. Er war zu diesem Zeitpunkt viele Jahre als Bundespolizist an der Migrantenfront im Einsatz. Seine Realität widersprach schon immer «auf teilweise absurde Weise […] den praxisfernen und idealisierten Vorstellungen» von Politik und Medien.

 

Gefängnis als Ferienklub

In den folgenden Jahren wurde diese Diskrepanz noch grösser, so gross, dass Solwyn seinen Abschied von der Truppe nahm und ein Buch über seine Erfahrungen schrieb: «Einfach nur wahre Geschichten von Menschen und Ereignissen.» Knapp fünfzehn Jahre lang, von 2009 bis 2024, diente Solwyn als Polizist. An Bahnhöfen und Flughäfen, an den deutschen Aussengrenzen, auf der griechischen Insel Lesbos, dem Hotspot der Zuwanderung, sowie in der Zentrale der europäischen Grenztruppe Frontex in Warschau.

Das deutsche Migrationssystem hat das Potenzial, die freiheitliche Grundordnung zu zerstören.

Dort arbeitete er mit Polizisten aus ganz Europa zusammen, die ein Punkt einte: die Ablehnung, ja Verachtung der Asylpolitik ihrer Regierungen. Neid empfanden sie allerdings auf ihre Kollegen aus Osteuropa: Sie konnten als Einzige offen diese Politik kritisieren, ohne Folgen für ihre Karrieren fürchten zu müssen.

Solwyn will sich in keine politische Schublade stecken lassen. Wenn sein Buch den einen zu rechts, den anderen zu links sei, dann sei es genau richtig, schreibt er. Dennoch ist unübersehbar, dass sich seine Praxiserfahrungen decken mit den Warnungen von Politikern, die gerne als rechts verteufelt werden.

So dokumentiert er auf Lesbos den «direkten Draht» zwischen kriminellen Schleppern und Nichtregierungsorganisationen, deren Vertreter schneller als die staatlichen Organe an jenem Strand zugegen waren, an dem ein Flüchtlingsboot aus der Türkei anlandete. Er zerpflückt die amtlichen Statistiken, die etwa von einem Rückgang illegaler Grenzübertritte faseln.

Der eigentliche Grund: Die Kontrollen werden reduziert, so dass nicht mehr so viele Illegale ins Netz gehen. Und die Integration? «Die deutsche Staatsbürgerschaft gleicht eher einer Klubmitgliedschaft, die bei Bedarf gewisse Annehmlichkeiten und Vorteile verschafft.» Als einen Hauptschuldigen macht er zudem die Justiz aus, die strafbare Handlungen von Migranten oft nicht sanktioniere oder wegen Geringfügigkeit einstelle. Bewährungsstrafen würden als Freispruch missverstanden und Gefängnis als Ferienklub empfunden. «Manchmal», schreibt er, «stieg in mir einfach der Frust hoch, wenn ich sah, wie unsere Rechtsordnung missverstanden, ausgenutzt und verachtet wurde.»

Nahezu jeder Migrant habe ein Handy dabei, auf dem Fotos hochgeladen worden seien von anderen Migranten, die es schon ins gelobte Deutschland geschafft hatten. Sie zeigten junge Männer, die vor teuren Autos posieren oder von deutschen Mädchen auf die Wange geküsst werden. Das schüre falsche Vorstellungen und führe zu grotesken Situationen. So verteidigte sich ein Pakistani in Berlin gegen den Vorwurf der Vergewaltigung mit dem Hinweis, dass es so schwer sei, eine Freundin zu finden.

 

Ausgewandert in Sicherheit

Für die Zukunft sieht Solwyn trotz martialischer Politikerreden schwarz. «Das deutsche und das europäische Migrationssystem haben das Potenzial, die freiheitliche Grundordnung nachhaltig zu zerstören», meint er. Denn der Gipfel der Migration sei noch nicht erreicht: «Städte werden sich weiter verändern, immer mehr Menschen, die […] mit Deutschland und Europa nicht mehr verbinden als ein geschenktes komfortables Leben, werden das Stadtbild prägen.»

Solwyn wird das nicht mehr am eigenen Leib verspüren. Er ist mit seiner neuen Partnerin ausgewandert. In Sicherheit. Nach Israel.