Das Zentrum des Jihad ist Afrika: Islamistische Terroristen töteten in den letzten zehn Jahren 150 000 Menschen

Der islamistische Terrorismus hat sich vom Nahen Osten nach Afrika verlagert. Die Terrororganisation IS droht den Christen mit drei Szenarien: Islamisierung, Vertreibung oder Tötung.


Daniel Rickenbacher
4 min

Menschen beerdigen in Mpondwe (Uganda) am 18. Juni 2023 ein Opfer eines Terroranschlags auf eine Schule, bei dem mindestens 37 Menschen von mutmasslichen ADF-Terroristen ermordet wurden.

Luke Dray / EPA

Seit der militärischen Zerschlagung des Kalifates des Islamischen Staates (IS) ist fast ein Jahrzehnt vergangen. Das Zentrum des weltweiten Jihadismus hat sich in der Zwischenzeit vom Nahen Osten nach Afrika verlagert. Die dortige Bevölkerung zahlt dafür einen hohen Preis.

Laut einer Studie des Afrika-Zentrums für strategische Studien (Africa Center for Strategic Studies), das vom amerikanischen Kriegsdepartement finanziert wird, wurden in Afrika in den letzten zehn Jahren mehr als 150 000 Menschen bei Terrorismusvorfällen getötet. Sie starben bei Anschlägen, Gefechten mit Militärs oder bei Massakern an der Zivilbevölkerung.

Und die Tendenz geht nach oben: Im letzten Jahr wurden über 22 000 Menschen getötet, vor zehn Jahren war es noch etwa die Hälfte. Mehrere Millionen Menschen wurden in die Flucht getrieben. Allein in Nigeria geht die Uno von 2,3 Millionen Binnenvertriebenen aus. Dafür ist der islamistische Terrorismus, neben anderen bewaffneten Konflikten, hauptsächlich verantwortlich.

Der afrikanische Jihad gegen die Christen

Der Schwerpunkt des Jihadismus hat sich vom Nahen Osten und von Nordafrika nach Subsahara-Afrika verlegt. Mehrere Ableger von al-Kaida und des Islamischem Staats (IS) sind mittlerweile auf dem afrikanischen Kontinent aktiv. Diese wachsende Bedeutung zeigt sich in der jihadistischen Propaganda, in der der afrikanische Jihad mittlerweile dominiert. Laut dem britischen Analysten Kyle Orton sind über 90 Prozent der Artikel im wöchentlichen IS-Propaganda-Newsletter «al-Naba» diesem Kontinent gewidmet. Der Nahe Osten dagegen taucht kaum mehr auf.

Fast im Wochentakt kommt es zu islamistischen Angriffen auf Regierungstruppen und zu Massakern. Anfang September überfiel die mit dem IS verbündete Miliz ADF das Dorf Ntoyo im Osten der Demokratischen Republik Kongo und ermordete über siebzig Menschen. Die Dorfbewohner wurden bei einer christlichen Beerdigung überrascht. Ein Augenzeuge schilderte der Nachrichtenagentur AP das Massaker: «Es waren etwa zehn. Ich sah Macheten. Sie forderten die Leute auf, sich an einem Ort zu versammeln, und fingen an, auf sie einzuhauen. Ich hörte die Schreie der Leute und wurde ohnmächtig.»

Verkohltes Wrack eines Lastwagens nach einem Angriff von IS-nahen ADF-Terroristen in Ntoyo, Nord-Kivu (DR Kongo), am 9. September 2025

Stringer/Reuters

Der Terror expandiert und dringt von den Savannengebieten im Norden immer weiter nach Süden ins Herz Afrikas vor. Die Gewalt richtet sich nicht ausschliesslich, aber speziell gegen Christen. Die IS-Propaganda lässt keinen Zweifel daran, dass es für sie auf dem Kontinent keine Zukunft geben soll: «Wenn sie den Islam und die Jizya [Kopfsteuer] ablehnen, dann ist die dritte Option Tötung und Vertreibung», hiess es kürzlich im August-Newsletter des IS.

Jedes Jahr nimmt der Jihad in Afrika neue Gebiete ein, und immer mehr Menschen fallen ihm zum Opfer. Der IS sieht im Terror in Afrika mittlerweile ein Vorbild für die «Rache an den Christen Europas».

Zone der Gewalt

Die Hotspots des afrikanischen Jihad liegen in Somalia und entlang der Sahelzone von Mauretanien bis Nigeria – einem Übergangsgebiet zwischen der Sahara im Norden und den bewaldeten, feuchteren Gebieten im Süden. Nicht nur Klimas treffen aufeinander, sondern auch unterschiedliche Lebensweisen und vor allem das Christentum und der Islam. Hier wurden in den letzten zehn Jahren zirka 90 000 Menschen im Zusammenhang mit dem afrikanischen Jihad getötet. Es ist ein weites Territorium, über das die schwachen regionalen Staaten zunehmend die Kontrolle verlieren.

Im Norden Nigerias und in den angrenzenden Regionen kämpfen rund 6000 bis 9000 Terroristen für Boko Haram und den Islamischen Staat – Provinz Westafrika (ISWAP). Letztere ist eine Abspaltung von Boko Haram, übertrifft diese aber mittlerweile hinsichtlich Grösse und taktischer Fähigkeiten. Beide Terrorgruppen verüben regelmässig Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten. Im April dieses Jahres etwa überfiel ISWAP ein christliches Dorf im Nordosten Nigerias und setzte es in Brand. Rund zwanzig Menschen wurden ermordet. Wie üblich filmte ISWAP den Angriff und verbreitete ihn über seine Kanäle. Laut der Uno ist ISWAP mittlerweile zum grössten Produzenten jihadistischer Propaganda unter allen Ablegern des Islamischen Staates geworden.

Der Jihadismus profitiert von der Anarchie

Auch in Westafrika eskaliert die Gewalt. Rund die Hälfte der afrikanischen Terrorismustoten im letzten Jahr stammt von hier. Hier tummeln sich nicht nur Terrorgruppen, sondern auch fremde Söldner wie das russische Afrika-Korps. Seit 2020 kam es in mehreren Ländern zu Putschen, in Mali und Burkina Faso sogar zu zwei. Die politische Instabilität begünstigt den Jihadismus.

Davon profitieren der lokale Al-Kaida-Ableger JNIM (Jamaat Nusrat al-Islam wal-Muslimin) und der Islamische Staat – Provinz Sahel (ISSP). Vor allem JNIM ist in den letzten Jahren zu einer der mächtigsten Terrororganisationen weltweit aufgestiegen. Ein neuer Bericht des Uno-Sicherheitsrates warnt davor, dass JNIM inzwischen «zur Durchführung komplexer Angriffe mit Drohnen, improvisierten Sprengsätzen und einer grossen Anzahl von Kämpfern gegen gut verteidigte Kasernen» in der Lage sei. Diese Fähigkeit stellte JNIM im Mai unter Beweis, als bei einem Angriff auf die Provinzhauptstadt Djibo im Norden von Burkina Faso über einhundert Militärs und Zivilisten getötet und die Stadt vorübergehend besetzt wurde.

Doch JNIM möchte nicht nur terrorisieren, sondern auch regieren – eine Tendenz, die in verschiedenen Teilen Afrikas zu beobachten ist. Nach Schätzungen kontrollieren islamistische Gruppen inzwischen ein Territorium, das fast dreimal so gross ist wie Deutschland. Ihr erklärtes Ziel ist die Etablierung eines islamischen Staates, in dem die Scharia gilt.

Putin vergleicht Drohnen mit Ufos und zieht die Angst vor Russland ins Lächerliche
Weniger als 1 Minute