Putin vergleicht Drohnen mit Ufos und zieht die Angst vor Russland ins Lächerliche
Russlands Präsident legt in einer Rede eine Sichtweise dar, die sich von jener in westlichen Hauptstädten fundamental unterscheidet: Russland stelle keine Bedrohung dar, gefährlich hingegen sei die Aufrüstung Europas. Gleichwohl verglich er die Nato mit einem Papiertiger.
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Jedes Jahr hält Präsident Putin an der Jahrestagung des Waldai-Klubs eine Grundsatzrede vor Aussenpolitikexperten.
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Die wichtige Frage an den russischen Präsidenten Wladimir Putin kam in der zweiten Hälfte eines mehr als vierstündigen Auftritts vor in- und ausländischen Aussenpolitikexperten. «Wladimir Wladimirowitsch, weshalb schicken Sie so viele Drohnen nach Dänemark?», fragte der Moderator Fjodor Lukjanow, einer der führenden aussenpolitischen Kommentatoren Russlands.
Putin entschied sich für eine vermeintlich scherzhafte Antwort. «Ich werde es nicht weiter tun. Nicht nach Frankreich, nicht nach Dänemark, nicht nach Kopenhagen. Wohin fliegen sie noch?» Er nannte noch Lissabon und fügte an: «Wissen Sie, daran ergötzen sich Leute, die sich früher an unbekannten Flugobjekten – Ufos – ergötzt haben.» Er wolle nun aber ernsthaft darüber sprechen. Russland verfüge über keine Drohnen, die bis Lissabon flögen. Ohnehin diene das Gerede über Drohnen nur dazu, die Situation anzuheizen und die Rüstungsausgaben zu erhöhen. Damit zeigte er auf Europa.
Europa im Niedergang
Putins Antwort passt zu dem, was er auch sonst am Donnerstagabend an der Jahrestagung des Waldai-Klubs, eines Expertengremiums, sagte. Die Hauptbotschaft seiner Ansprache und später seiner Antworten auf Fragen war vor allem eine: Russland sei in einer sich rasant verändernden Welt ein vernünftiger, auf Ausgleich und die gegenseitige Wahrung der Interessen achtender Akteur und ein Teil der neuen «globalen Mehrheit». Europa befinde sich dagegen in jeder Hinsicht im Niedergang – aussen- und innenpolitisch, wirtschaftlich, kulturell. Die europäischen Eliten hintergingen ihr eigenes Volk, indem sie es immer öfter um die demokratischen Rechte betrögen. Um von alldem abzulenken, stilisierten sie Russland zum Feind.
Diese Darstellung klingt vor dem Hintergrund der Unterdrückung jeglicher oppositioneller Stimmen in Russland und der beständigen Suche nach inneren und äusseren Feinden grotesk. Sie stellt aber auch die brisante sicherheitspolitische Lage in Europa auf den Kopf. Nicht Russland ist aus Putins Sicht der Provokateur, der die europäischen Gesellschaften zu destabilisieren versucht. Provokationen und Drohungen gingen von Europa aus, sagte der Präsident mit zuweilen bebender Stimme und prangerte die Aufrüstung an.
Die Europäer sollten sich lieber um ihre eigenen Versäumnisse kümmern, anstatt die hypothetische Bedrohung in Form eines russischen Angriffs auf die Nato heraufzubeschwören. «Ehrlich gesagt möchte man sagen: Beruhigt euch, schlaft ruhig und kümmert euch endlich um eure eigenen Probleme», rief er aus. Den Europäern ist Skepsis gegenüber solchen Beschwichtigungen allerdings nicht zu verdenken: Vor dem Grossangriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hatten Putin und seine Funktionäre immer wieder öffentlich verkündet, von russischen Kriegsvorbereitungen könne keine Rede sein.
Deutschland habe angekündigt, sich zur stärksten Armee Europas entwickeln zu wollen, erwähnte Putin. Das werde Russland sehr genau beobachten, um zu entscheiden, ob eine Antwort auf die fortschreitende Militarisierung notwendig sei. Er richtete eine Warnung an die Europäer: Sollte die Sicherheit Russlands und seiner Bürger gefährdet sein, werde die Antwort nicht lange auf sich warten lassen, und sie werde überzeugend sein. Russland zu provozieren, habe in der Geschichte immer schlecht geendet. Putin zielt auch auf ein westliches Publikum, das den eigenen Politikern nicht mehr vertraut.
Schönreden des Ukraine-Krieges
Der von einigen westlichen Politikern und Militärs nach Russlands Grossangriff auf die Ukraine geäusserte Wunsch nach einer «strategischen Niederlage» Russlands ist für Putin zu einem fast obsessiv vorgetragenen Kritikpunkt geworden. Er fügt sich in die Moskauer Propaganda, wonach der Westen Russland am liebsten zermalmen und aufteilen würde. Die so behauptete existenzielle Bedrohung des Landes dient Putin dazu, den brutalen Krieg gegen das Nachbarland und den hohen Preis, den auch das eigene Volk dafür bezahlen muss, zu rechtfertigen.
In seinem Auftritt vor den Aussenpolitikexperten stellte er den Krieg dar, als kämpften russische Soldaten direkt mit Nato-Einheiten. Russlands militärische Leistungen und Verfehlungen stehen so in einem ganz anderen Kontext. Die Lage an der Front beschrieb er rosig und unterschlug vollständig, wie qualvoll die Russen seit dreieinhalb Jahren der Ukraine im Donbass, im Nord- und Südosten Quadratkilometer um Quadratkilometer abringen. Die russische Armee bezeichnete er als die derzeit kampffähigste der Welt in jeder Hinsicht. Donald Trumps Bemerkung, sie erscheine mangels durchschlagender Erfolge als ein «Papiertiger», drehte er um: «Wenn Russland ein Papiertiger sein soll – was ist dann die Nato?»
Wohlwollend gegenüber Trump
Hatte Putin bis vor einem Jahr den «kollektiven Westen» für die Konfrontation verantwortlich gemacht, haben sich seit dem Wahlsieg Trumps die Gewichte verschoben. Nun ist Europa der Hauptgegner. Die Verantwortung dafür, dass der Ukraine-Krieg noch immer nicht beendet sei, liege in erster Linie bei den Europäern, die den Konflikt ständig ausweiteten, sagte er am Donnerstag. Trump hingegen ist ein zwar schwieriger, aber im Grunde verständiger potenzieller Partner. Ein offener Dialog mit ihm sei möglich; der sehr direkte Stil des amerikanischen Präsidenten verzichte immerhin auf Heuchelei, meinte Putin. Trumps Mantra, der Ukraine-Krieg hätte nie begonnen, wäre er damals schon Präsident gewesen, hat der Kreml übernommen.
Selbst Trumps jüngste ausfällige Bemerkungen relativierte Putin. Das gegenseitige Verhältnis halte das aus. Einzig beim Thema möglicher Lieferungen von Tomahawk-Marschflugkörpern wurde er ernster. Russland würde mit diesen zwar fertig, aber sie bedeuteten eine qualitativ neue Etappe in der Eskalation zwischen Russland und den USA. Obwohl die amerikanisch-russische Annäherung bis jetzt keinerlei substanziellen Erfolg hervorgebracht hat, scheint Putin mit seinen wohlwollenden Bemerkungen zu Trump die Hoffnung auf einen Durchbruch zu hegen.
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