«Die Migranten aus arabischen Kulturen sorgten für katastrophale Zustände in der Schwulenszene»
Was wie ein Widerspruch tönt, ist nicht selten: Homosexuelle, die sich für eine konservative Gesellschaftspolitik einsetzen. Sie wollen mit dem Gender-Aktivismus der letzten Jahre nichts zu tun haben.
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«Ich bin nicht queer, ich bin schwul»: Nicht alle Homosexuellen fühlen sich in der LGBTQ-Community aufgehoben, die ständig um neue Buchstaben anwächst. Diesjährige Pride-Parade in Bogotá, Kolumbien.
Ivan Valencia / AP
Es gibt einen weitverbreiteten Trugschluss, und je lauter der LGBTQ-Aktivismus wurde, desto mehr Leute verfielen ihm. Er geht so: Schwule und lesbische Menschen unterstützen die Anliegen der Regenbogengemeinschaft. Schliesslich sind sie, wie das Akronym besagt, Teil davon.
Sie prägten es mit dem L und dem G (für «gay») sogar zuerst, zusammen mit dem B für die Bisexuellen. Infolge der Identitätspolitik wuchs das Kürzel stetig um Buchstaben an. LGBTQIA+ heisst es heute korrekt, das Plus-Zeichen steht für Hunderte von sexuellen Identitäten und Orientierungen, die in den vergangenen Jahren Sichtbarkeit forderten.
Viele Leute zeigen sich verwundert, dass eine Politikerin wie Alice Weidel, die offen lesbisch lebt, für die AfD politisiert. Jemand, der wahrscheinlich eigene Diskriminierungserfahrungen macht, setzt sich für andere sexuelle Minderheiten ein und identifiziert sich mit ihnen, so glaubt man. Rechtspopulistisch und schwul, das tönt wie ein Missverständnis, eine Anomalie.
Von Jens Spahn bis Peter Thiel
Doch für eine grosse Anzahl von Schwulen und Lesben hören die Gemeinsamkeiten da auf, wo die Identitätspolitik beginnt. In einem ARD-Sommerinterview im Jahr 2023 sagte Weidel auf die Frage der Moderatorin, wie sie «mit der offenen Queerfeindlichkeit» in ihrer Partei umgehe: «Ich bin nicht queer, sondern mit einer Frau verheiratet, die ich seit 20 Jahren kenne.» Sie fühle sich in ihrer Partei nicht diskriminiert, sondern eher von der Genderpolitik der Bundesregierung «vor den Karren gespannt».
Ähnlich hat sich Jens Spahn, der Fraktionsvorsitzende von CSU/CDU, über seine Homosexualität geäussert: Er sei nicht queer, er sei schwul. Begriffe wie «queer» würden im politischen Diskurs instrumentalisiert.
Der amerikanische Unternehmer Peter Thiel, Mitglied der Republikanischen Partei, würde gar nicht über seine Homosexualität sprechen, wäre er 2007 nicht unfreiwillig geoutet worden.
Diese schwulen Politiker und Aktivisten vertreten in vielen Gesellschaftsfragen konservative, eindeutig nichtlinke Positionen. Gleichzeitig sind sie stolz darauf, schwul zu sein. Dennoch betrachten sie ihre Homosexualität bloss als einen Aspekt ihrer Identität. Sie definiert weder ihr politisches Profil, noch machen sie sie zu ihrem Lebensinhalt.
Seine Partei war gegen die «Ehe für alle»
Die Schweizer Nationalräte Hans-Ueli Vogt und Hans-Peter Portmann, der eine von der SVP, der andere von der FDP, möchten ihr Schwulsein nicht mehr zum Thema in den Medien machen. Als Bürger dieses Landes beschäftigten sie andere Fragen, sagen sie auf Anfrage.
Vogt sprach sich 2021 entgegen der Parole seiner Partei für die «Ehe für alle» aus. Der rechtskonservative Politiker hat auch öffentlich gesagt: Er werde von der queeren Gemeinschaft mehr angefeindet wegen seiner politischen Haltung als innerhalb der SVP wegen seiner Homosexualität.
Es gibt bei falscher Meinung schnell Punkteabzug bei denen, die eigentlich die Interessen der Homosexuellen vertreten. Vor den Nationalratswahlen 2023 machte der Schwulen-Dachverband Pink Cross ein Rating zur Queerfeindlichkeit der Parlamentsmitglieder. Auch der Freisinnige Portmann bekam nicht die Bestnoten. So hatte er etwa für ein Verbot von Gendern an Hochschulen gestimmt.
LGB stösst Buchstaben ab
Wer die frühe Schwulenbewegung erlebt hat, stört sich am fehlenden Geschichtsbewusstsein der progressiven Queer-Linken. Er sieht die Rechte bedroht, die mühsam erkämpft wurden. Räume, die früher den Schwulen vorbehalten waren, stehen nun allen, die sich irgendwie queer fühlen, offen. Das habe die Gay-Community kaputtgemacht, hört man.
Aus diesem Grund erklärten im September Schwule, Lesben und Bisexuelle weltweit ihre Unabhängigkeit vom «LGBTQIA+-Establishment». Der neue Zusammenschluss heisst nur noch LGB Alliance.
In der Erklärung wird kritisiert, dass sich die queere Gemeinschaft ausschliesslich auf Transgender-Anliegen fokussiere. Es sei ihr egal, dass in 64 Ländern Homosexualität immer noch verboten sei. Die «Gender-Identitäts-Ideologie» bedrohe Schwule und Lesben ganz konkret, wenn sich junge Menschen, die sich vom selben Geschlecht angezogen fühlten, nun einfach als trans definierten.
«Das gesamte Konzept der ‹Geschlechtsidentität› löscht die Homosexualität aus und ist in seinem Kern homophob», sagt Bev Jackson, die zu den Mitbegründern von LGB Alliance zählt.
In Geschlechterfragen eine konservative Haltung zu haben, heisst heute, biologisch zu argumentieren: mit zwei Geschlechtern, Mann und Frau. Die lesbische Philosophin Kathleen Stock gab 2021 ihre Professur an der Universität von Sussex auf, nachdem Studenten sie deswegen als transphob diffamiert hatten. Im «Guardian» schrieb sie: Lesben würden in der «Buchstabensuppe» verschwinden. Sowohl in der Gender-Forschung wie in der Gleichstellungspolitik fielen sie aus dem Blick.
Dabei gehören zum Feindbild queer-feministischer Aktivisten vor allem «schwule Cis-Männer, die überwiegend weiss und gutsituiert sind», wie sie die Autorin Louise Morel nennt. Denn sie gelten trotz ihrer sexuellen Orientierung als Nutzniesser des Patriarchats.
Durch Migrationsthema politisiert
Für den deutschen Anwalt Ralf Höcker hat die Gender-Debatte komplett überdreht. Nun erkennt er eine Normalisierung. Der 54-Jährige ist verheiratet und hat mit seinem Mann drei Kinder dank Leihmutterschaft. Sein Coming-out hatte er mit 19. Als Jugendlicher trat er der Vereinigung «Lesben und Schwule in der Union» (LSU) bei, die Teil der CSU/CDU war.
Heute sei in Deutschland vieles erreicht, für das sie damals gekämpft hätten, sagt Höcker. 1994 wurde der Paragraf 175 abgeschafft, der Sex zwischen Männern unter Strafe stellte. Seit 2017 dürfen Homosexuelle heiraten. Fern ist die Zeit, als man als Schwuler nicht einmal das Recht hatte, den kranken Partner im Spital zu besuchen.
«Die Welt geht nicht unter, wenn Schwule und Lesben sichtbarer werden. Das hat auch der Konservativste kapiert», sagt Höcker. Er erlebe im Alltag kaum mehr Diskriminierung, im Gegenteil: Bei der Bewerbung um die in Köln raren Kita-Plätze seien sie als schwule Eltern sogar bevorzugt worden.
Manchmal wird das Private dann doch politisch. Bei den Themen Leihmutterschaft und Migration fällt Höckers sexuelle Orientierung ins Gewicht. Während er mit seinen Ansichten zur Leihmutterschaft eher zu den Grünen als zu einer christlichen Partei passe, sei er in Fragen rund um Migration konservativer geworden, sagt Höcker, der heute parteilos ist. «Die Migrantengewalt hat mich repolitisiert.»
«Ab 2015 änderte sich alles», sagt er. «Ich war damals noch kinderlos und abends viel unterwegs. Die vielen Migranten aus arabischen Kulturen sorgten für katastrophale Zustände in der Schwulenszene.» Er habe es am eigenen Leib erfahren, sei beleidigt, bedroht und tätlich angegriffen worden. Plötzlich wurden vor Klubs und Bars in Köln, wo die Homosexuellen verkehren, wieder Türsteher installiert.
Höcker ist realistisch. Schwulenfeindlichkeit werde es immer geben. Aber sie gehe, was die Deutschen selbst betreffe, von einer Minderheit aus. Nötig mache den Kampf als Schwuler aber weiterhin die demografische Entwicklung – man müsse verhindern, dass die Werte homophober Gesellschaften in die Gesetzgebung einflössen. «In keinem einzigen islamischen Land ist die Schwulenehe erlaubt», sagt er.
Dass er aufgrund selbsterlebter Benachteiligung sich mit allen «Unterdrückten» solidarisieren müsste, wie es etwa die «Queers for Palestine» tun, findet er absurd. «Am Otto Normalschwulen von der Strasse geht dieser Opferdiskurs vorbei», sagt Höcker. «Wie die meisten Bürger möchte er in einem funktionierenden Staat leben, der eine geregelte Einwanderung hat, wo objektive Wissenschaft betrieben und man nicht gesetzlich gezwungen wird, jemanden ‹Frau› zu nennen, obwohl es sich um einen biologischen Mann handelt.» Wobei, so fügt er an, er dies aus Höflichkeit tue.
«Keine Regenbogenflagge am Reichstagsgebäude»
So hält es auch der Politikberater und Publizist Armin Petschner-Multari: Er will niemanden vorsätzlich brüskieren. Der 36-Jährige ist Mitglied der CSU. «Ich bin schwul, aber genauso bin ich Bayer, Deutscher und Europäer», sagt er. So wolle er Politik machen – «für die gesamte Bevölkerung».
Die Identitätspolitik der letzten Jahre bezeichnet er als «destruktiv und spalterisch». Teilhabe und Vielfalt seien die Grundlage individueller Freiheitsrechte. «Jeder soll sich im Privaten entfalten können, wie er möchte. Dafür muss nicht täglich die Regenbogenflagge am Reichstagsgebäude gehisst werden.»
Es sei ein Verzerren historischer Tatsachen, wenn an Gedenkfeiern statt von den ermordeten homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus von queeren Opfern die Rede sei. Noch mehr beschäftigen auch ihn die Folgen der Zuwanderung.
Er und sein Mann überlegten sich genau, wo und wie sie «im vermeintlich liberalen Berlin» auftreten würden, schrieb er kürzlich auf Linkedin: ob sie im Taxi Zuneigung zeigten oder worüber sie auf der Rückbank sprächen. «Das Problem ist meistens nicht Uwe, sondern Abdullah», sagt er.
Für Petschner-Multari ist mit der Ehe für alle, die 2017 in Deutschland legalisiert wurde, der letzte Punkt der Vollwertigkeit erreicht. Fragt man ihn, wieso er in einer Partei sei, in der viele Mitglieder die Ehe als ein alleiniges Bündnis zwischen Mann und Frau sähen, antwortet er: Aus einer christlich-konservativen Perspektive lasse sich durchaus gegen die gleichgeschlechtliche Ehe argumentieren.
«In einer grossen Volkspartei darf man andere Meinungen vertreten, ohne dass dies gleich als Ausprägung schlimmster Diskriminierung gewertet werden muss», sagt er. Im Unterschied zu anderen Ländern der Welt müsse er in Deutschland immerhin nicht befürchten, wegen seiner Homosexualität verfolgt und bestraft zu werden.
Die Schwulen in der Trump-Regierung
Rechtskonservative und bürgerliche Parteien verkörpern traditionelle Bilder von Männlichkeit, die viele Schwule anziehen. Ordnung, Härte, Disziplin. Fluiden Konzepten von Männlichkeit können viele gerade nichts abgewinnen.
So gibt es auch in der Maga-Bewegung viele Homosexuelle. Die «New York Times» sprach neulich von den «A-Schwulen der Trump-Regierung». Diese besetzen wichtige Positionen und verfügen über ein machtvolles Netzwerk in Washington. Dazu gehören der Finanzminister Scott Bessent oder Richard Grenell, Botschafter in Berlin während Trumps erster Amtszeit. Er ist jetzt von diesem mit der Leitung des nationalen Kulturzentrums Kennedy Center beauftragt.
Der Politikberater Petschner-Multari, der zurzeit in New York lebt, sieht darin eine gute Entwicklung. Trump hat zwar allem, was mit Gender zu tun hat, den Kampf angesagt. Dieser Anti-Woke-Kurs sei plump. Dennoch sei Trump nicht die Karikatur des homophoben Republikaners, den man in ihm sehen wolle. «Trump hat vor allem ein Problem mit der links-identitären Anspruchshaltung einzelner Milieus», sagt Petschner-Multari. Der Mann komme aus New York und sei in den Medien und im Showbusiness gross geworden, wo früher als anderswo Toleranz und Vielfalt vorgeherrscht hätten.
Wenn nun das Pendel zurückschlage, so bedeute dies im besten Fall eine Kurskorrektur. Auch für ihn als Schwulen. Er nennt es Akzeptanz in der Normalität: Seine Homosexualität braucht dann keine besondere Erwähnung mehr.Seither ist viel passiert: An der Gay-Pride in New York sollten im Juni 1982 schwule Väter auf sich aufmerksam machen.
Barbara Alper / Getty
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