„Fakten zählen, die Wahrheit zählt“, sagte Ursula von der Leyen in ihrer Rede vor dem EU-Parlament Anfang vergangener Woche, als später über das Misstrauensvotum gegen sie abgestimmt wurde. Sie sei stets bereit, sich Diskussionen zu stellen – jedoch nur, wenn diese auf „Fakten“ und „Argumenten“ basieren.
Wie erwartet, überstand von der Leyen das Misstrauensvotum, trotz schwerwiegender Vorwürfe über mangelnde Transparenz bei der Beschaffung von Corona-Impfstoffen und einem autoritären Führungsstil. Die Kritik, so von der Leyen, stamme aus einem „extremistischen Handbuch“. Für viele Medien war das Ergebnis ein Sieg der EU-Kommissionschefin: „Von der Leyen verteidigt sich erfolgreich gegen Misstrauensvotum und attackiert Rechte“, titelte der Spiegel, während die Deutsche Welle (DW) von einem Fehlschlag der Rechten berichtete: „Rechte scheitern mit Misstrauensantrag gegen von der Leyen.“
Doch hinter diesem politischen Showdown stellt sich eine weitere, weitgehend unbeachtete Frage: Wie unabhängig sind die Medien, wenn immer mehr von ihnen direkt von Regierungen oder internationalen Institutionen wie der EU finanziert werden? Jährlich stellt die EU Millionenbeträge für Medienprojekte zur Verfügung – nicht nur in ihren Mitgliedsstaaten, sondern auch in Ländern, in denen Euroskepsis weit verbreitet ist, wie in Teilen Osteuropas. Doch welche Auswirkungen hat diese finanzielle Unterstützung auf die journalistische Freiheit und die Objektivität der Berichterstattung?
Der italienische unabhängige Investigativjournalist Thomas Fazi behandelt diese Frage in einem Bericht, den er Anfang Juni veröffentlichte. Fazi ist Journalist, Autor und Dokumentarfilmer, der hauptsächlich in Rom lebt. Er ist bekannt für seine kritischen Analysen zu Politik, Wirtschaft und EU-Themen. Zu seinen Büchern zählen „The Battle for Europe“ (2014) und „Reclaiming the State“ (2017, mit William Mitchell). Sein jüngstes Werk ist „The Covid Consensus“ (mit Toby Green). Er schreibt für Medien wie UnHerd und Compact.
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Der Bericht, der auf dem ungarischen rechtskonservativen Thinktank MCC Brussels publiziert wurde, zeigt auf, dass die EU jährlich fast 80 Millionen Euro für Medienprojekte sowohl innerhalb als auch außerhalb der Union ausgibt. Besonders im Fokus stehen öffentlich-rechtliche Sender wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa, die Deutsche Presse-Agentur (dpa) und die Deutsche Welle. Diese und andere Nachrichtenagenturen sowie Kommunikationsfirmen erhalten sämtliche Fördermittel, doch wofür eigentlich?
Förderprogramme werden häufig mit Schlagworten wie „Bekämpfung von Desinformation“ oder „Unterstützung faktengestützter Programme“ umrahmt. Doch, so Fazi in einem Interview mit der Berliner Zeitung, „gleichzeitig werden klare strategische Ziele verfolgt, um die öffentliche Debatte zu beeinflussen und die EU-Agenda zu fördern“. Viele dieser Projekte würden explizit proeuropäische Narrative unterstützen, darunter zum Beispiel die Förderung der europäischen Integration.
In geopolitisch sensiblen Themen wie dem Russland-Ukraine-Konflikt könnten Medienhäuser, die diese Förderungen erhalten, dazu angereizt werden, die offiziellen Positionen der EU und der Nato zu wiederholen, warnt Fazi. Allein im vergangenen Jahr hat die EU rund zehn Millionen Euro an ukrainische Medien vergeben.
Die EU-Kommission ist der Hauptfinanzierer dieser Medienprojekte. Über Programme wie IMREG (Information Measures for the EU Cohesion Policy) wurden seit 2021 40 Millionen Euro in Medien investiert, häufig über öffentlich-rechtliche Sender und Nachrichtenagenturen. Ein weiteres bedeutendes Programm, „Journalism Partnerships“, hat seit 2021 fast 50 Millionen Euro bereitgestellt.
Das European Digital Media Observatory (EDMO), das Netzwerke zur „Bekämpfung von Desinformation“ unterstützt, erhielt in den vergangenen fünf Jahren mindestens 27 Millionen Euro – ein Bereich, der eng mit der Förderung proeuropäischer Narrative verknüpft ist.
Das EU-Parlament stellt seinerseits über seine Generaldirektion Kommunikation seit 2020 fast 30 Millionen Euro für Medienkampagnen zur Verfügung. Diese Förderung zielte unter anderem darauf ab, die „Reichweite gegenüber gezielten Zielgruppen“ zu erhöhen und die „Legitimität für die EP-Kampagnen“ zu fördern, insbesondere vor den Europawahlen.
Im Vorfeld der Europawahlen 2024 wurden beispielsweise acht Millionen Euro bereitgestellt, um „die Bürger über die Bedeutung der Europawahlen zu informieren und sie zu ermutigen, ihr Wahlrecht auszuüben“ sowie „neue Wähler anzusprechen“. „Unabhängige Medien sind für die europäische Demokratie unerlässlich, und das Europäische Parlament unterstützt sie durch transparente Initiativen, die die redaktionelle Freiheit schützen“, sagt ein Sprecher des EU-Parlaments gegenüber der Berliner Zeitung. Weiter sei in Medienberichten die maximale mögliche Obergrenze für interinstitutionelle Rahmenverträge als die tatsächlich ausgegebene Summe dargestellt worden, wodurch der Umfang der EU-Finanzierung falsch dargestellt wurde.
„Was zählt, ist, dass diese Gelder bereitgestellt werden“, sagt Fazi, der seine Schätzungen für konservativ hält, da sie nur direkte Förderungen an Medien berücksichtigen. Kommunikationsagenturen, die Gelder erhalten und diese dann an Medien weiterverteilen, sind in seiner Rechnung nicht enthalten, erklärt der Investigativjournalist. Eine gängige Praxis.
Doch wie viel Geld haben die einzelnen Medien erhalten? Euronews führt mit insgesamt 230 Millionen Euro Förderungen das Ranking an – deutlich weniger erhalten ZDF und Bayerischer Rundfunk (BR) mit jeweils 500.000 Euro und 600.000 Euro. Der französische Sender Arte hat etwa 26 Millionen Euro erhalten. Hohe Beträge gingen auch an die Deutsche Welle (35 Millionen Euro) und die Deutsche Presse-Agentur (dpa), mit 3,2 Millionen Euro.
Gerade Nachrichtenagenturen sind an mehreren Medienprojekten beteiligt. Im Rahmen des Multimedia-Actions-Programms wurden 2024 rund 1,7 Millionen Euro für die Einrichtung des European Newsroom (ENR) bereitgestellt. Der Newsroom, der von der dpa koordiniert wird, bringt Nachrichtenagenturen aus 24 Ländern zusammen, um Nachrichten zu EU-Angelegenheiten zu produzieren und zu verbreiten. Diese Agenturen – darunter AFP (Frankreich), EFE (Spanien), Ansa (Italien), Belga (Belgien) und viele weitere – sollen Nachrichten gemeinsam erstellen und verbreiten, die eine paneuropäische Perspektive auf EU-Themen bieten.
Die Inhalte richten sich an Medienhäuser, Bürger und Institutionen, werden über Agenturnetzwerke, den European Data News Hub, Newsletter, soziale Medien und Projekte wie ChatEurope verbreitet und sollen das Verständnis für EU-Entscheidungen fördern sowie „Desinformation“ bekämpfen.
Im Verhältnis zum dpa-Basisdienst, der ein breites Spektrum an weltweiten Nachrichten für Medienkunden liefert, ergänzt der ENR diesen durch spezialisierte EU-Berichterstattung. ENR-Inhalte können in den Basisdienst einfließen, bleiben aber fokussiert auf EU-Themen. Die Finanzierung des Basisdienstes erfolgt primär durch Abonnements, während der ENR gezielt EU-relevante Inhalte und Infrastruktur wie gemeinsame Büros in Brüssel unterstützt.
„Im laufenden Projekt organisiert die dpa die zentralen Services und fungiert als Clearing-Stelle“, sagt ein Sprecher der dpa gegenüber der Berliner Zeitung. Der European Newsroom würde keine Inhalte im Auftrag der EU-Kommission erarbeiten und würde auch keine Inhalte mit ihr abstimmen. Auf der Webseite von ENR stellt sich jedoch schnell heraus, dass kritische Haltungen zur EU hier kaum vertreten sind.
Die Interviews mit EU-Abgeordneten und Funktionären zeichnen ein eher einseitiges Bild der Union. Zum Beispiel behauptet der Präsident des Europäischen Rates, Antonio Costa, dass Albanien vor 2030 Mitglied der EU werden könne. Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley (PES), warnt vor „rechtsradikalen Allianzen“ und „Desinformation“, die die „Demokratie“ gefährden könnten – ebenfalls ohne kritische Stimmen zu den EU-Positionen.
Die Gelder sind an spezifische Projekte geknüpft, die explizite Vorgaben enthalten, etwa die Förderung bestimmter EU-Politiken, wie die Kohäsionspolitik oder die „Entmystifizierung“ der EU. Wie das Beispiel der Stars4Media-Initiative zeigt, die seit 2019 mehr als acht Millionen Euro erhalten hat. Ein prominentes Projekt darunter, „LucidAREurope“, verfolgt das Ziel, „ein Werkzeug zur Bürgerbeteiligung zu schaffen, um die Europäische Union und ihre Institutionen zu entmystifizieren und zu entlarven“. „Diese Vorgaben sind im Grunde redaktionelle Anweisungen, die die journalistische Integrität aushöhlen“, sagt dazu Fazi.
Die EU-Kommission widerspricht dieser Einschätzung: „Die Anforderung, das Bewusstsein für die Vorteile der Kohäsionspolitik zu schärfen, ist weder im Text der Ausschreibung noch in der Fördervereinbarung enthalten“, so ein Kommissionsbeamter. Alle geförderten Medien würden in „vollständiger redaktioneller Unabhängigkeit“ arbeiten, die durch eine Unabhängigkeitserklärung gestützt sei.
Doch ein Blick auf das Projekt „Strengthening Independent Media for a strong democratic Ukraine“ ergibt ein anderes Bild. Für den Zeitraum von 2024 bis 2026 hat die EU mehr als 3,4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das Projekt, in dem die Deutsche Welle Akademie und der ukrainische öffentlich-rechtliche Rundfunk Suspilne zusammenarbeiten, hat das Ziel, das „demokratische Medienökosystem zur Förderung der EU-Integration der Ukraine zu stärken“. In den Projektunterlagen heißt es explizit, dass dies das „Hauptziel“ sei.
Ein besonderer Schwerpunkt des Projekts befasst sich auch mit der Berichterstattung gegenüber jüngeren Schichten der Bevölkerung, zum Beispiel in der Ukraine: „Wir wollen ein Angebot für die Kinder hier in der Ukraine schaffen, einen Ort, an dem sie verlässliche Nachrichten und Ablenkung finden“, sagt Olga Avrakhova, Produzentin bei Suspilne, in einem Beitrag der DW Akademie.
„Kinder leben in einem Nachrichtensturm, der es schwer macht, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden. Sie brauchen eine Plattform, die ihre Sprache spricht, die ihnen verlässliche Informationen gibt und Ansprechpartner, denen sie vertrauen können“, so Avrakhova weiter. Unter anderem sollen Kinder durch Cartoons, die als „therapeutische Märchen“ bezeichnet werden, die neue Realität besser verstehen.
Die Deutsche Welle Akademie hat in den letzten zehn Jahren etwa 35 Millionen Euro von der EU-Kommission erhalten, um Projekte wie dieses umzusetzen. Allein seit 2020 sind mehr als 14 Millionen Euro an Fördermitteln geflossen. Trotz dieser erheblichen Summen sind die Medientrainings der Akademie nicht frei zugänglich – ein Medientraining für fünf Personen kostet beispielsweise rund 790 Euro pro Kopf.
„Die EU reagiert auf den Verlust an Legitimität und öffentlichem Vertrauen mit einer Eskalation von Propaganda und repressiven Maßnahmen“, sagt Fazi. Bereits in einem früheren Bericht hatte er ähnliche Muster bei der Finanzierung von NGOs entblößt. Kritik an dem Ort der Veröffentlichung des Berichts – MCC Brussels wird vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán finanziert – habe er mit einem Augenzwinkern aufgenommen: „Witzig, wie niemand den Inhalt meiner Berichte kritisiert.“