Der andere Blick

Die roten und grünen Trumps: Linke klingen immer öfter wie die von ihnen kritisierten Populisten

Die politische Linke fühlt sich moralisch gerne überlegen. Doch immer öfter zeigt sich: Hass und Hetze beherrschen auch sie.

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Heidi Reichinnek von der Partei «die Linke» im Bundestag

Heidi Reichinnek von der Partei «die Linke» im Bundestag

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Sie lesen einen Auszug aus dem Newsletter «Der andere Blick am Abend», heute von Anna Schiller, Redaktorin NZZ Deutschland. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.

Die politische Linke beansprucht gerne für sich, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Daraus erwächst ihr Gefühl von moralischer Überlegenheit. Hinzu kommt der Anspruch, sachbezogene Diskussionen zu führen und auf Angriffe gegen die Person zu verzichten. Eines ist klar: Die Scharfmacher sind die anderen.

Daher rührt die vehemente Kritik der Linken am amerikanischen Präsidenten Donald Trump, der seine politischen Gegner öffentlich erniedrigt. Oder an der AfD-Chefin Alice Weidel, die Friedrich Merz gerne als «Lügenkanzler» bezeichnet. Der Vorwurf lautet: Politiker wie Trump und Weidel vergiften die politische Kultur und spalten die Gesellschaft.

Doch seit einiger Zeit klingen linke Politiker plötzlich ganz anders. Sie werden den Politikern, die sie so leidenschaftlich gerne kritisieren, immer ähnlicher.

Hass und Hetze können auch Grüne und Linke

Der ehemalige grüne Vizekanzler Robert Habeck arbeitete sich etwa kürzlich an der Präsidentin des Deutschen Bundestages, Julia Klöckner, ab. Habeck ist an diesem Montag aus dem Parlament ausgeschieden. In einem Interview äusserte er die Hoffnung, die CDU-Politikerin nicht noch einmal treffen zu müssen. Über sie würden selbst Parteikollegen sagen, «dass Merz sie nur zur Präsidentin gemacht hat, um sie von einem Ministerposten fernzuhalten, auf dem sie noch mehr Schaden anrichtet». Zur «nasty woman», wie Trump einst Hillary Clinton bezeichnete, ist es da nicht mehr weit.

Auch andere in seiner Partei sind in letzter Zeit ausfällig geworden. Die Grünen-Politikerin Paula Piechotta lästerte etwa kürzlich auf X: «Merz redet lieber mit Starmer, Macron und Selenski als mit Söder, Spahn und Linnemann. Und das kann man ja menschlich fast ein bisschen verstehen.» Selbst wenn man diese Aussage zumindest partiell witzig findet, sie ist weit entfernt von irgendeiner Sachdebatte.

Die Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek ging noch weiter und warf mehreren Unionspolitikern bei Tiktok vor, sich «antidemokratisch» zu verhalten. Kurzum: Hass und Hetze, Reizwörter in der linken Blase, beherrschen Grüne und Linkspartei genauso gut wie ihre Gegner.

Sicher, es ist Aufgabe der Opposition, die Regierung zu kritisieren. Gerade Deutschland tut nach Jahren einschläfernder Debatten eine gewisse Robustheit in der politischen Auseinandersetzung gut. Aber: Diese verbalen Ausfälle sind masslos. Es geht nicht mehr darum, den politischen Gegner mit den besseren Argumenten zu bezwingen, sondern darum, den Menschen dahinter schlechtzureden. Habeck, Piechotta und Reichinnek sind damit den Populisten am rechten Rand ähnlicher, als ihnen lieb sein kann.

Woher kommt dieser harsche Tonfall? Linke würden wohl sagen: Die Demokratie ist durch den Aufstieg der AfD gefährdet. Seit geraumer Zeit geht im linken Lager die Sorge um, die Union könnte insgeheim eine Koalition mit der Rechtsaussenpartei planen oder sich von ihr tolerieren lassen. Und wer sich in einem Kampf für die Demokratie wähnt, für den sind alle Mittel zulässig – auch die der Populisten.

Doch die verbalen Entgleisungen dürften auch noch einen anderen Grund haben. Einen ganz banalen, machtpolitischen.

Der gesellschaftliche Wind hat sich gedreht. Über viele Jahre bestimmte die politische Linke die roten Linien in der Gesellschaft. Welche Ansichten noch genehm waren, sprich: als demokratisch galten.

Doch diese Diskurshoheit ist ins Wanken geraten. Es reicht nicht mehr, gewisse Ansichten zum Gendern, zur Migration oder in der Sozialpolitik einfach abzumoderieren, indem sie als antidemokratisch dargestellt werden. Und Wähler merken, dass allen Warnungen der Linken zum Trotz die Demokratie nicht zerfällt, wenn jemand diese Gedanken öffentlich ausspricht. Es ist kein Wunder, dass ausgerechnet jene Politiker besonders beleidigend angegangen werden, die genau das tun: Klöckner, Spahn oder Linnemann.

Die Regierung bietet genügend Angriffsfläche

Ad-hominem-Attacken mögen bei einigen Wählern verfangen. Die Mehrheit der Deutschen wird das aber kaum überzeugen. Im Zweifel nähren sie eher das Gefühl, dass die Politiker in Berlin abgehoben sind. Wenn die politische Linke so weitermacht, wird sie weiter an Stimmen einbüssen.

Wenn ihr daran gelegen ist, weiter ein nennenswerter politischer Gegenpol zu sein, bleibt ihr nur eins: Sie muss endlich wieder richtige Oppositionsarbeit machen. Wie etwa bei der Bundestagswahl, als die Linkspartei das Thema Mieten für sich entdeckte und so besonders junge Städter ansprach.

Die gegenwärtige Regierung bietet genügend Angriffsfläche, an der sich die linke Opposition abarbeiten könnte. Die ungelöste Baumisere, das marode Rentensystem, die Probleme bei der Bildung – all das sind lohnende Felder für eine inhaltliche Auseinandersetzung. Chancen bieten sich den Grünen und der Linkspartei genug. Sie müssen sie allerdings ergreifen wollen.

129 Kommentare
Urs Fitze

Die NZZ verharmlost notorisch, was von ganz rechts kommt, von Trump bis Weidel, und sie betrachtet schon als linksextrem, was von links der MItte kommt. Mit der Gleichsetzung eines Habeck mit einer Weidel rückt die Kommentierende selbst ganz nach rechts. Da täte eine Auseinandersetzung mit den Inhalten ganz gut, statt sich über ein paar scharfe Worte zu echauffieren.

Fabrizio Grässlin

Jemand posted auf X mit dem Portrait eines Deutschen Ministers mit dem Wort “Schwachkopf” Resultat: Polizei Razzia & Anklage, Zurschaustellung etc. Urteil noch nicht rechtskräftig. In einer ÖR TV Sendung wird eine bekannte Politikerin als “Nazi Schlampe” bezeichnet. Diese klagt. Nach der Ent­schei­dung des Ge­richts han­delt es sich dabei um Sa­ti­re, die im kon­kre­ten Kon­text der Äu­ße­rung von der Mei­nungs­frei­heit ge­deckt ist. Urteil noch nicht rechtskräftig. Der 2. beschriebene Fall geschah 2017 - also vor 8 Jahren und die Autorin erkennt nun erst, dass Beleidigungen, Herabwürdigungen usw. von Linker Seite ein Novum sei?