Bundeskanzler Friedrich Merz machte von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. «Wir können uns diesen Sozialstaat nicht mehr leisten», sagte er. Es werde harte Einschnitte geben. Sofort waren die üblichen Verdächtigen, neoliberale Wirtschaftspolitiker und Militärexperten, auf allen Kanälen und unterstützten den Blackrock-Kanzler, wie er mittlerweile von denen genannt wird, die in ihm einen Kanzler der Reichen sehen. Reformen seien unausweichlich, sagten sie. Kurz darauf spuckte das Statistische Bundesamt den Reform-, sprich: Sozialabbauexperten in die Suppe. 2024, so die Beamten, sei der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) 5,53 Prozent gewesen, während er 2015 und auch 2000 höher, nämlich bei 5,64 Prozent und 5,63 Prozent gelegen habe.

 

Milton Friedman hat recht

Es ist fast schon lustig, mit anzusehen, wie bei dieser Diskussion der Elefant im Raum von aufrüstungsbesessenen Politikern und Journalisten nicht genannt wird. Die erklärte Absicht, 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zukünftig für Rüstung auszugeben, zerstört den Sozialstaat. Wer die Hälfte des Bundeshaushalts in den nächsten Jahren fürs Militär bereitstellen will, hat immer weniger Geld, um den Sozialstaat zu finanzieren.

Milton Friedman hat einmal gesagt, man könne entweder einen Sozialstaat haben oder offene Grenzen. Beides zusammen gehe nicht.

Ähnlich wie der Chicagoer Nobelpreisträger muss man heute sagen: Man kann entweder 5 Prozent des BIP fürs Militär ausgeben oder einen gerechten Sozialstaat finanzieren, beides zusammen geht nicht.

Die jetzigen Bundestagsparteien (das BSW wird rechtswidrig wegen Zählfehlern vom Bundestag ferngehalten) weigern sich, diesen Zusammenhang herzustellen. Bei CDU/CSU, SPD und Grünen wundert man sich nach den Erfahrungen mit diesen Parteien in der Bundesregierung schon nicht mehr. Aber auch die Linke ist unglaubwürdig. Sie stimmte im Bundesrat für die gewaltige Aufrüstung und ist gleichzeitig für offene Grenzen und die Ausweitung des Sozialstaates.

Dass die die Aufrüstung ebenfalls befürwortende AfD den heutigen Sozialstaat nicht retten will, ist bekannt. Sie sagt es nur nicht so laut, um die vielen Arbeitnehmer, die sie trotz ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik wählen, nicht zu vergraulen.

Die AfD will alle Reichensteuern abschaffen, dazu zählen Erbschafts-, Vermögens-, Gewerbe- und Grundsteuer ebenso wie der Solidaritätszuschlag. Mehrwertsteuer und Unternehmenssteuern sollen gesenkt werden. Wie man bei dieser Voodoo-Steuerpolitik die Aufrüstung finanzieren soll, bleibt das Geheimnis von Alice Weidel.

 

Einfluss der Rüstungsindustrie

Der scheinbar unaufhaltsame neue deutsche Militarismus führt zur Zerstörung des Sozialstaates. Zwar fordert Artikel 20 des Grundgesetzes: «Die Bundesrepublik Deutschland ist ein sozialer und demokratischer Bundesstaat», aber wen stört das heute noch? Ohne Demokratie gibt es keinen Sozialstaat, und ohne Sozialstaat gibt es keine Demokratie. Demokratie heisst nämlich seit der Antike, dass die politischen Entscheidungen im Interesse der Mehrheit getroffen werden. Die Mehrheit will einen starken Sozialstaat, aber keine Aufrüstung und keinen Krieg. Sie weiss, oder zumindest ahnt sie, dass gegen eine Atommacht die ganzen Haubitzen, Panzer und Flugzeuge, die jetzt beschafft werden sollen, nichts ausrichten.

Mit der Parole «Kinderspeisung statt Panzerkreuzer» zog die SPD 1928 in den Wahlkampf. Heute heisst es: Kinderspeisung und Panzer – und wenn das Geld nicht reicht, dann müssen die Kinder halt verzichten, weil der Russe wie zu Adenauers Zeiten wieder vor der Tür steht und die Rüstungsindustrie mittlerweile einen grösseren Einfluss auf politische Entscheidungen hat als die zunehmende Kinderarmut.

 

Oskar Lafontaine ist Finanzminister Deutschlands a. D. und ehemaliger Vorsitzender der SPD.