Nato-Bündnisfall! So war es zu vernehmen, als vergangene Woche angeblich russische Drohnen den polnischen Luftraum verletzt haben sollen. Trümmerteile von abgestürzten Drohnen des grossen, bösen Feindes in einem Nato-Mitgliedsland? Das Dach eines Wohnhauses zertrümmert durch «den Russen»? Zeter und Mordio schrien die Kalten Krieger unserer Zeit.

Medien erklärten schon mal in vorauseilendem Gehorsam, was es mit dem Nato-Bündnisfall auf sich hat und wann er ausgelöst wird. Jetzt, «endlich mit Härte» (Roderich Kiesewetter): der Beginn des Dritten Weltkriegs? Spannung, Spass und Spiel, wie in der Werbung? Ja, der grassierende Realitätsverlust im polit-medialen Komplex ist – wie soll man es sagen? – real!

Kritische Geister mahnten früh zur Vorsicht. Schliesslich reden wir von Krieg. Wir reden von Propaganda, von Manipulation. Nicht vorschnell urteilen, keine Stimmung schüren. Beobachten, analysieren.

Das passt natürlich nicht zur einer Medienlandschaft, die nur darauf wartet, bis es zum grossen Knall kommt. Über Tage: Propagandistisches Dauerfeuer. Russland war schuldig – so schuldig, wie das Land es auch in Sachen Nord-Stream-Sprengung war, pardon: sein musste. Weil – logischerweise – der «Feind» doch immer schuldig zu sein hat.

Gut, dass es noch Medien mit Realitätsbezug gibt. Eine Schlagzeile der Berliner Zeitung lautet gerade: «Bericht: F-16-Rakete traf Haus in Polen – nicht russische Drohne.» Das Blatt schreibt: «In Wyryki-Wola deutet laut neuen Recherchen vieles auf eine Fehlfunktion einer F-16-Rakete hin, nicht auf eine russische Drohne. Staatsanwaltschaft und Polizei prüfen den Fall.»

Rufen wir uns in Erinnerung, wie sich Roderich Kiesewetter vergangene Woche positionierte. Auf der Plattform X forderte er: «Die Ukraine so ausstatten, dass sie die Russen zurückdrängen kann, inklusive Angriffe auf militärisch relevante Ziele in Russland.»

Mit anderen Worten: Es war zwar unklar, was da in Polen jetzt genau passiert ist, aber: Warum nicht den Krieg eskalieren? Im Sinne der guten Sache, versteht sich. Kiesewetter sagte auch: «Solidaritätsbekundungen sind fehlplatziert. Endlich mit Konsequenz und Härte antworten! Gesülze von Friedensverhandlungen muss aufhören. Es muss jetzt Taurus und massive militärische Unterstützung für die Ukraine erfolgen, denn Russland nährt sich durch unsere Schwäche.»

Woher der Wind weht, ist in diesen Zeilen eindeutig. Mit noch mehr militärischer Gewalt Russland entgegentreten. Soll die Bundesrepublik eben Taurus liefern. Wenn Deutschland dann von Russland als Kriegspartei betrachtet wird?

Prompt sprang Kiesewetter auch noch der Vizepräsident des Deutschen Bundestages zur Seite. Der Grüne Omid Nouripour kommentiert auf X Kiesewetters Tweet mit den Worten: «Sehr richtig, lieber Kollege. Setzen wir es gemeinsam durch. Nicht nur hier, sondern auch im Parlament. Auf @GrueneBundestag ist Verlass.»

«Verlass» – das ist gerade so ein Begriff. In der deutschen Politik scheint gerade nur auf eines Verlass zu sein: Stramm und zielgenau die Realität zu verkennen.

Marcus Klöckner ist Journalist und Autor. Der Titel seines aktuellen Buches lautet «Kriegstüchtig! Deutschlands Mobilmachung an der Heimatfront».